Kölner Karneval 2025: Cannabis-Premiere unter dem CanG – Der Rechts-Flickenteppich am 11.11.
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Heute ist Premiere: Der Kölner Karnevalsauftakt 2025 ist der erste, der unter den Bedingungen des bundesweiten Konsumcannabisgesetzes (CanG) stattfindet. Die rechtliche Situation ist paradox. Erwachsene dürfen legal bis zu 25 Gramm Cannabis mit sich führen (BMG). Doch der Konsum ist in den zentralen Feierzonen – Altstadt und Zülpicher Viertel – aufgrund der dichten Konzentration von Kitas, Schulen und Fußgängerzonen praktisch lückenlos verboten. Die brisante Analyse zeigt: Die Stadt Köln erwähnt Cannabis in ihren Sicherheitskonzepten mit keinem Wort (Stadt Köln). Es entsteht ein undurchsichtiger Flickenteppich aus Bundesrecht, lokalen Verordnungen und faktischem Enforcement-Vakuum.
Die Kernpunkte im Überblick
- Besitz legal, Konsum verboten: Erwachsene dürfen bis zu 25 Gramm Cannabis besitzen und mit sich führen (BMG). Der Konsum ist jedoch "in Sichtweite" (100-Meter-Zone) von Kitas, Schulen, Spielplätzen und in Fußgängerzonen zwischen 7:00 und 20:00 Uhr verboten (Berliner Morgenpost – Interaktive Karte).
- Rechts-Flickenteppich in Hotspots: Zülpicher Viertel und Altstadt sind extrem dicht mit CanG-Schutzzonen (Kitas, Schulen) durchsetzt. Die 100-Meter-Verbotszonen überlagern die Feierzonen fast komplett (Universitätskindergarten, Förderschule Zülpicher Str.).
- "Sichtweite" unklar: Das Gesetz knüpft das Verbot nicht an einen starren 100-Meter-Radius, sondern an die tatsächliche Sichtbarkeit des Eingangs. Im dichten Karnevalsgedränge ist diese Regelung faktisch nicht anwendbar.
- Behörden schweigen: Weder die Stadt Köln noch die Polizei erwähnen Cannabis oder das CanG in ihren detaillierten Sicherheitskonzepten (Stadt Köln). Der Fokus liegt auf Glasverbot, Waffen und Terrorabwehr.
- Präzedenzfall für Großveranstaltungen: Der Kölner Karneval ist der erste Stresstest des CanG bei einer deutschen Massenveranstaltung. Auch Düsseldorf und Mainz schweigen zu Cannabis.
Das CanG im Karneval: Was ist erlaubt, was nicht?
Besitz: Kein Problem
Die Rechtslage beim Besitz ist eindeutig. Jede erwachsene Person darf legal bis zu 25 Gramm getrocknetes Cannabis in der Öffentlichkeit mit sich führen. Zuhause ist der Anbau von bis zu drei lebenden Cannabispflanzen pro volljähriger Person erlaubt (BMG).
Das bedeutet: Das Mitführen von Cannabis am 11.11. stellt für volljährige Jecken weder eine Straftat noch eine Ordnungswidrigkeit dar. Anders als in den Jahren vor dem CanG können der Besitz oder der Geruch von Cannabis allein für Ordnungskräfte keinen Anlass mehr für ein Einschreiten bieten. Der rechtliche Fokus verschiebt sich zwingend vom Besitz auf den Akt des Konsums.
Konsum: Praktisch überall verboten
Hier wird es kompliziert. Das CanG verbietet den öffentlichen Konsum von Cannabis in zwei verschiedenen Szenarien:
Szenario 1 – Die 100-Meter-Schutzzonen: Der Konsum ist verboten "in Sichtweite" von Schulen, Kindertagesstätten (Kitas), Kinderspielplätzen, Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie öffentlich zugänglichen Sportstätten. Laut interaktiven Karten und Gesetzeskommentaren wird diese Zone als ein 100-Meter-Abstand definiert, gemessen vom Eingangsbereich der jeweiligen Einrichtung (Berliner Morgenpost).
Szenario 2 – Das Zeitverbot in Fußgängerzonen: In Fußgängerzonen ist der Konsum von Cannabis im Zeitraum zwischen 7:00 Uhr morgens und 20:00 Uhr abends generell verboten (BpB). Der offizielle Karnevalsauftakt beginnt um 11:11 Uhr. Die Hauptfeieraktivitäten in der Kölner Altstadt fallen exakt in dieses Verbotsfenster.
Der Flickenteppich im Zülpicher Viertel
Das Zülpicher Viertel (Kwartier Latäng) ist das Epizentrum der studentischen Karnevalsfeiern. Ab 7:00 Uhr morgens wird das Viertel abgeriegelt und kontrolliert. Die Zülpicher Straße wird für den Verkehr gesperrt, sogar die KVB-Linie 9 wird umgeleitet (Antenne NRW). Der Zugang erfolgt nur über definierte Eingänge mit Kontrollen (Stadt Köln).
Gleichzeitig ist dieses Viertel extrem dicht mit CanG-Schutzzonen durchsetzt:
- Direkt auf der Zülpicher Straße befinden sich die Förderschule Zülpicher Straße (Website der Schule) und der Universitätskindergarten (Uni-KiTa).
- In unmittelbarer Nähe (weniger als 100 Meter) befinden sich weitere Einrichtungen wie die Katholische Kita Herz Jesu (Portal Köln).
Die 100-Meter-Schutzzonen, die sich um die Eingänge dieser Einrichtungen legen, überdecken das Zülpicher Viertel wie ein fast lückenloser Verbots-Teppich. Eine rechtliche Besonderheit verschärft die Situation: Die Förderschule Zülpicher Straße hat für den 11.11. selbst "verkürzten Unterricht" angekündigt, um dem Karnevalstreiben auszuweichen. Das Konsumverbot des CanG ist jedoch an die Existenz des Gebäudes als Schule gebunden, nicht an die tatsächliche Anwesenheit von Schülerinnen und Schülern. Das Verbot gilt also, obwohl der eigentliche Schutzzweck an diesem Tag teilweise ins Leere läuft.
Die Altstadt: Doppeltes Verbot durch Fußgängerzonen
In der Altstadt – dem Zentrum des organisierten Karnevals mit Heumarkt und Alter Markt – ist die Situation ähnlich komplex. Auch hier sind die 100-Meter-CanG-Zonen dicht gesät. In unmittelbarer Nähe zum Heumarkt befinden sich die Kita Groß St. Martin (Caritas Erzbistum Köln) sowie diverse Schulen der Bildungslandschaft Altstadt Nord (BAN Köln).
Zusätzlich gilt in den meisten Zuwegen zur Altstadt das CanG-Konsumverbot zwischen 7:00 und 20:00 Uhr, da diese als Fußgängerzonen ausgewiesen sind. Die Hauptfeieraktivitäten fallen exakt in dieses Zeitfenster. Ein Konsument, der sich um 14:00 Uhr auf der Hohen Straße oder am Heumarkt befindet, verstößt somit gegen das CanG – selbst wenn gerade keine Kita in Sichtweite ist.
Das juristische Problem der "Sichtweite"
Die Definition der "Sichtweite" ist die zentrale juristische Herausforderung des Gesetzes. Das CanG knüpft das Verbot nicht an einen starren 100-Meter-Radius, sondern explizit an die tatsächliche Sichtbarkeit des Eingangs der jeweiligen Einrichtung.
Das schafft im dichten Gedränge des Kölner Karnevals eine massive Rechtsunsicherheit:
- Ein Feiernder in einer Menschenmenge kann objektiv unmöglich feststellen, ob er sich "in Sichtweite" eines 50 Meter entfernten Kita-Eingangs befindet.
- Eine dichte Menschenmenge (die sprichwörtliche "Jecken-Mauer") kann die Sichtweite physisch blockieren. Gilt das Verbot dann trotzdem?
- Im Gegensatz zu einem klar definierten Glasverbot – dessen Übertretung (das Halten einer Glasflasche) sofort ersichtlich ist – ist die "Sichtweiten"-Regel in der Praxis einer Großveranstaltung kaum justiziabel.
Das auffällige Schweigen der Behörden
Eine Analyse aller relevanten, bis zum 10. November 2025 veröffentlichten Sicherheitskonzepte und Pressemitteilungen der Stadt Köln und der Kölner Polizei zeigt einen einheitlichen Befund: Cannabis oder das CanG werden nicht ein einziges Mal explizit als Problem oder Kontrollfokus erwähnt.
Diese Nicht-Nennung ist signifikant. Die Stadt Köln hat bewiesen, dass sie in der Lage ist, sehr spezifische Verbote für den 11.11. zu erlassen:
- Glasverbot: Strikte Glasverbote (Flaschen und Gläser) gelten von 8:00 bis 8:00 Uhr in Altstadt und Kwartier Latäng (koeln.de).
- Drohnenverbot: Ein striktes Mitführ- und Betriebsverbot für Drohnen ist zur Gefahrenabwehr erlassen worden, gültig von 6:00 bis 2:00 Uhr (Stadt Köln).
- Musikboxen-Verbot: An den Zugängen zum Kwartier Latäng ist das Mitführen von Musikboxen explizit untersagt (Stadt Köln).
Der städtische Jugendschutz hat einen klaren Fokus: Alkohol, Tabakwaren und besonders das Verbot des Verkaufs von Lachgas an Minderjährige. Die Polizei hat einen klaren Fokus: Waffen, Messer und Terrorabwehr (Radio Erft).
Dass Cannabis in keiner dieser detaillierten, öffentlichen Planungen als Priorität genannt wird, deutet auf eine bewusste oder unbewusste Prioritätensetzung der Behörden hin. Die faktische Priorität der Einsatzkräfte vor Ort scheint die Abwehr akuter physischer Sicherheitsrisiken (Massenpanik, Gewalt, Terror) zu sein, nicht die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach dem CanG.
Gastronomie: Hausrecht schlägt CanG
Neben dem öffentlichen Straßenraum spielt die Gastronomie (Kneipen, Bars) eine zentrale Rolle am Karneval. Hier gilt nicht das CanG oder die städtische Verordnung, sondern das private Hausrecht.
Der Branchenverband DEHOGA hat klargestellt, dass jeder Gastronom das Recht hat, den Gästen den Konsum von Cannabis zu verbieten (DEHOGA NRW). Dieses Verbot kann auch für die Außengastronomie (Biergärten, Terrassen) und sogar für ausgewiesene Raucherkneipen gelten.
Eine zusätzliche Unsicherheit für Gastronomen schafft das CanG selbst: Es verbietet den Konsum "in unmittelbarer Gegenwart" von Minderjährigen. Was genau "unmittelbare Gegenwart" in einer Kneipe bedeutet (z.B. ein Kind am Nebentisch), ist juristisch nicht abschließend geklärt.
Es ist daher zu erwarten, dass die meisten Kölner Gastronomen ein pauschales Cannabis-Konsumverbot per Hausrecht durchsetzen werden. Dies verlagert den potenziellen Konsum aus den (privat kontrollierten) Innenräumen zurück in den (öffentlich kontrollierten) Außenbereich – wo er dann direkt mit den analysierten CanG-Verbotszonen kollidiert.
Präzedenzfall für Deutschland: Auch andere Städte schweigen
Ein Abgleich mit anderen Karnevalshochburgen zeigt, dass das Kölner "Schweigen" zu Cannabis kein Einzelfall ist. Auch in Düsseldorf (Hoppeditz Erwachen am 11.11., Düsseldorf.de) oder Mainz (mainzund.de) war Cannabis kein öffentliches Thema in den Sicherheitsplanungen der Städte.
Dies deutet auf ein Muster hin: Deutsche Großstädte scheinen bei der Bewältigung von Großveranstaltungen mit hohem Sicherheitsrisiko die Priorität auf die physische Gefahrenabwehr zu legen, während die Durchsetzung des komplexen, konsumbezogenen Bundesgesetzes (CanG) dahinter zurücktritt.
Der Kölner Karnevalsauftakt 2025 stellt damit einen Präzedenzfall für die Anwendung des CanG bei deutschen Großveranstaltungen dar.
Chancen & Risiken
- Chance: Wenn die pragmatische Nicht-Durchsetzung am Karneval ohne Zwischenfälle verläuft, könnte das zeigen, dass das CanG bei Großveranstaltungen in der Praxis funktioniert – auch ohne explizite Cannabis-Kontrollen.
- Risiko: Die Rechtsunsicherheit ist enorm. Feiernde können unwissentlich Ordnungswidrigkeiten begehen. Selektive Ahndungen könnten Willkür-Vorwürfe provozieren. Der Flickenteppich zeigt: Das CanG wurde nicht für Massenveranstaltungen konzipiert.
- Risiko: Wenn es zu sichtbaren Cannabis-Konsumszenen kommt, könnten Gegner des CanG das medial ausschlachten – unabhängig davon, ob die Konsumenten rechtlich im Rahmen waren oder nicht.
Dieser Karneval ist ein perfekter Stresstest – und er offenbart die Konstruktionsfehler des CanG gnadenlos. Ein Gesetz, das "Sichtweite" als Maßstab nimmt, ist in einer Menschenmenge nicht anwendbar. Ein Gesetz, das keine Härtefallregelungen für Großveranstaltungen kennt, ist praxisfern. Und ein Gesetz, das von den zuständigen Behörden ignoriert wird, ist zahnlos.
Das Schweigen der Stadt Köln ist vielsagend. Es zeigt: Niemand will die Verantwortung für die Durchsetzung eines unpraktikablen Regelwerks übernehmen. Das Ordnungsamt hat andere Prioritäten (zu Recht: Glasverbot und Terrorabwehr sind wichtiger). Die Polizei auch. Also entsteht ein Enforcement-Vakuum. Cannabis ist de jure fast überall verboten, de facto wird nichts passieren – bis vielleicht doch, selektiv, willkürlich.
Das CanG braucht dringend eine Novelle mit klareren, messbaren Regeln für Großveranstaltungen. Sonst wird jedes Volksfest, jedes Stadtfest, jeder Karneval zu einem rechtlichen Minenfeld. Und das schadet am Ende der Akzeptanz des gesamten Gesetzes.
📦 Archivierte Quellen (Wayback Machine)
Alle externen Quellen wurden am 11.11.2025 beim Internet Archive gesichert:
- www.bundesgesundheitsministerium.de
- interaktiv.morgenpost.de
- www.bpb.de
- media.frag-den-staat.de
- www.ban-koeln.de
- www.dehoga-nrw.de
- mainzund.de
- www.unikindergarten.de
- www.stadt-koeln.de
- www.koeln.de
- caritas.erzbistum-koeln.de
- www.duesseldorf.de
- antenne.nrw
- www.stadt-koeln.de
- www.radioerft.de
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