IMK Dezember 2025: Innenminister fordern Cannabis-Rollback – Die Evaluation zerlegt ihre Argumente
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Bremen, Dezember 2025. Die 224. Innenministerkonferenz ist zum Schauplatz eines drogenpolitischen Showdowns geworden. Zwanzig Monate nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) konfrontieren die Länder-Innenminister die Bundesregierung mit einer vernichtenden Zwischenbilanz. Hessens Roman Poseck fordert einen bundesweiten Genehmigungsstopp für Anbauvereinigungen (Hessen.de), die Polizeigewerkschaften beklagen den Verlust ihrer Ermittlungswerkzeuge (GdP). Doch ein Blick in den EKOCAN-Evaluationsbericht zeigt: Die Schreckensszenarien haben sich nicht bestätigt (EKOCAN Uni Hamburg).
Die Kernpunkte im Überblick
- Hessens Forderung: Innenminister Roman Poseck will einen bundesweiten Genehmigungsstopp für Cannabis-Clubs. Begründung: Verdeckte Kommerzialisierung und Unvereinbarkeit mit dem Vereinsrecht (Cannabis Club Arnstadt).
- TKÜ-Problematik: Die Polizei beklagt massiven Verlust an Ermittlungsbefugnissen. Da Cannabis aus dem BtMG gestrichen wurde, greifen Telekommunikationsüberwachung (§ 100a StPO) oft nicht mehr (Bundestag Anhörung).
- Die "24-Gramm-Dealer": Polizeibehörden berichten von taktischen Anpassungen der Händler. Mit 24 Gramm (unter der 25g-Grenze) sind Beschlagnahmen und Strafverfolgung praktisch unmöglich (Polizei Dein Partner).
- EKOCAN-Realität: Der Evaluationsbericht zeigt: Kein Konsumanstieg bei Jugendlichen, Anbauvereinigungen decken <0,1% des Bedarfs. Der Schwarzmarkt existiert – weil das legale Angebot fehlt (LTO).
- Das Dilemma: Dieselben Politiker, die die Club-Genehmigungen blockieren, beklagen den florierenden Schwarzmarkt. Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
Die 224. IMK: Kontext und Konfliktlinien
Die Innenministerkonferenz vom 3. bis 5. Dezember 2025 in Bremen unter Vorsitz von Senator Ulrich Mäurer ist mehr als ein routiniertes Ländertreffen (IMK Bremen). Sie markiert den Höhepunkt einer anderthalbjährigen Eskalation zwischen den Ländern und dem Bund in der Cannabispolitik.
Der Zeitpunkt ist kein Zufall: Wenige Wochen zuvor hat die Universität Hamburg ihren ersten EKOCAN-Zwischenbericht vorgelegt (EKOCAN Oktober 2025). Die Daten hätten eigentlich für Entspannung sorgen können – wenn die Politik daran interessiert wäre.
| Zeitpunkt | Ereignis | Bedeutung für die IMK |
|---|---|---|
| April 2024 | Inkrafttreten KCanG (Besitz, Konsum, Eigenanbau) | Start der rechtlichen Grauzonen bei Kontrollen |
| Juli 2024 | Start der Antragsphase für Anbauvereinigungen | Beginn des "administrativen Flaschenhalses" |
| Sommer 2025 | Berichte über "24-Gramm-Dealer" häufen sich | Polizei identifiziert systematische Gesetzeslücken |
| Oktober 2025 | 1. EKOCAN-Evaluationsbericht | Clubs decken <0,1% des Bedarfs – Schwarzmarkt stabil |
| Oktober 2025 | Dobrindt nennt CanG "Scheißgesetz" | Politische Rhetorik eskaliert (Apotheke Adhoc) |
| Dezember 2025 | 224. IMK in Bremen | Formalisierung der Länderkritik in Beschlussvorlagen |
Der verfassungsrechtliche Kern: Die TKÜ-Problematik
Das gewichtigste Argument der Innenminister betrifft die Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) nach § 100a StPO. Die Polizeigewerkschaften sprechen von einem "Blindflug" im Kampf gegen die organisierte Kriminalität (DPolG).
Die rechtliche Ausgangslage
Vor der Reform war der Handel mit Cannabis in "nicht geringer Menge" (ab 7,5g THC-Wirkstoffgehalt) ein Verbrechen gemäß § 29a BtMG – mit einer Mindeststrafe von einem Jahr. Diese Einstufung ermöglichte automatisch die TKÜ als Ermittlungsmaßnahme.
Mit dem KCanG wurde Cannabis aus dem BtMG gestrichen. Die neuen Straftatbestände haben niedrigere Strafrahmen. Viele ehemals schwere Delikte sind nun Vergehen. Die Konsequenz: Die Hürden für Telefonüberwachung sind drastisch gestiegen (Deutscher Richterbund).
Was die Innenminister fordern
Die Beschlussvorlagen der IMK zielen auf eine Wiederherstellung der "Ermittlungstiefe" (LTO IMK-Vorschau):
- Erweiterung des § 100a-Katalogs: Alle gewerbsmäßigen Cannabis-Handelsformen sollen als TKÜ-fähige Straftaten eingestuft werden – auch ohne nachgewiesene Bandenstruktur.
- Anhebung der Mindeststrafen: Um die verfassungsrechtliche "Schwere der Tat" zu begründen, fordern Bayern und Hessen höhere Mindeststrafen für gewerbsmäßigen Handel.
- Quellen-TKÜ sichern: Bei verschlüsselter Kommunikation (WhatsApp, Signal, Telegram) brauchen Ermittler Zugriff auf Endgeräte. Die Hürden dafür sollen gesenkt werden (Kanzlei.law TKÜ-Übersicht).
Die Gewerkschaft der Polizei argumentiert: Organisierte Kriminalität ist polykriminell. Drogenhändler handeln oft nicht nur mit Cannabis, sondern auch mit Kokain oder Methamphetamin. Cannabis ist das "Einstiegsdelikt" für Ermittler – voluminös, riechbar, sichtbar. Wenn über den Cannabis-Strang kein Zugang zur Kommunikation mehr möglich ist, bleiben auch härtere Drogenstrukturen im Dunkeln (GdP Stellungnahme).
Das Scheitern der "Säule 1": Die Krise der Anbauvereinigungen
Der zweite Schwerpunkt der IMK betrifft die Cannabis Social Clubs. Der EKOCAN-Bericht liefert die ernüchternde Zahl: Anbauvereinigungen deckten 2025 unter 0,1% des geschätzten Bedarfs (EKOCAN Uni Hamburg). Das ist statistisch irrelevant.
Hessens Blockadehaltung
Innenminister Roman Poseck hat sich an die Spitze der Club-Kritiker gesetzt. Von 27 Anträgen in Hessen wurden bis Dezember 2025 nur 11 genehmigt – während NRW 83 und Niedersachsen 55 Clubs zugelassen haben (Borkener Zeitung).
Posecks Begründung für einen bundesweiten Genehmigungsstopp (Hessen.de):
- Verdeckte Kommerzialisierung: Viele Clubs seien faktisch gewinnorientiert – über überhöhte Mietverträge, Beratungshonorare oder Vorstandsgehälter, die das "nicht-gewinnorientiert"-Gebot des Gesetzes umgehen.
- Rechtsformverfehlung: Der eingetragene Verein (e.V.) unterliege nicht den Publizitätspflichten einer GmbH. Kontrolle sei daher praktisch unmöglich.
- Schwarzmarkt-Verbindungen: Hessen befürchtet, dass Clubs als Fronten für illegale Strukturen dienen könnten.
Die selbsterfüllende Prophezeiung
Hier liegt die bittere Ironie: Die Politik blockiert Genehmigungen → Clubs können nicht produzieren → Der Schwarzmarkt füllt das Vakuum → Politiker präsentieren den florierenden Schwarzmarkt als Beweis für das Scheitern des Gesetzes.
Der Deutsche Hanfverband (DHV) spricht von "systematischer Sabotage" und hat eine Spendenkampagne für Musterklagen gegen behördliche Willkür gestartet (DHV Spendenaktion).
Die "Dealer-Lücke": Das 24-Gramm-Phänomen
Die dritte Konfliktlinie betrifft den öffentlichen Raum. Polizeibehörden berichten von einer systematischen Anpassung der Straßendealer an die neue Rechtslage (Analyse Cannabis Club Arnstadt).
So funktioniert die Taktik
- Dealer führen gezielt 24 Gramm mit sich – knapp unter der 25g-Strafbarkeitsgrenze.
- Das Cannabis ist oft portioniert (z.B. in 1g-Tütchen), was auf Handelsabsicht hindeutet.
- Bei Kontrollen: Der Besitz ist legal. Die Portionierung ist ein Indiz, aber kein Beweis. Ohne beobachtete Übergabe keine Handhabe.
- Der Dealer erhält sein Cannabis zurück und arbeitet weiter.
Innenminister Poseck argumentiert: 25 Gramm entsprechen etwa 50-75 Joints. Weit mehr, als ein Gelegenheitskonsument für einen Parkspaziergang braucht. Die hohe Freimenge diene faktisch nur der Logistikkette des Kleinhandels (Frankfurt Live).
Die Gegenseite
Der DHV kontert: Wer legal im Club 25 Gramm erwirbt (oft die monatliche Abgabemenge), muss diese Menge auch legal nach Hause transportieren dürfen. Eine Absenkung der Grenze würde den Weg vom Club zur Wohnung zur Zitterpartie machen (DHV Top-10 Forderungen).
EKOCAN: Was die Daten wirklich sagen
Der Evaluationsbericht der Universität Hamburg ist der "Elefant im Raum" der IMK-Debatte. Die Forscher haben knapp 9.000 Teilnehmer befragt und liefern Befunde, die beiden Seiten Munition geben – aber die Schreckensszenarien der Union nicht stützen (LTO EKOCAN-Analyse).
| Bereich | Befund | Bewertung |
|---|---|---|
| Jugendkonsum | Stabil bis leicht rückläufig | Keine "Dammbruch"-Explosion |
| Erwachsenenkonsum | Jahresprävalenz bei ~94% der Konsumenten stabil | Kein sprunghafter Anstieg |
| Anbauvereinigungen | <0,1% Marktanteil | Faktisch irrelevant für Bedarfsdeckung |
| Schwarzmarkt | >85% des Bedarfs | Verdrängung gescheitert – mangels legalem Angebot |
| Medizinalcannabis | ~12-14% Marktanteil | Signifikanter Anstieg durch erleichterte Verschreibung |
Die Kernbotschaft der Forscher: Das Gesetz hat den Konsum entkriminalisiert, aber die Versorgung noch nicht reguliert. Der Schwarzmarkt existiert nicht trotz, sondern wegen des fehlenden legalen Angebots.
Der europäische Kontext: Lehren aus dem Ausland
Deutschland ist nicht das erste Land, das diesen Weg geht. Ein Vergleich mit europäischen Nachbarn zeigt unterschiedliche Ansätze – und unterschiedliche Ergebnisse.
| Land | Modell | Status 2025 |
|---|---|---|
| Malta | Non-Profit Clubs (ARUC) | Strenge Regulierung, Crackdown gegen Regelverstöße (Cannabis Regulations AI) |
| Niederlande | Wietexperiment (Geschlossene Kette) | Regulierte Belieferung von Coffeeshops in Testregionen (NL Experiment) |
| Luxemburg | Eigenanbau & Besitz (3g) | Sehr restriktive Grenze im öffentlichen Raum (RTL Luxemburg) |
Die Erkenntnis: Das deutsche Club-Modell ist bürokratisch extrem aufwendig – ein Kompromiss, um EU-rechtlichen Konflikten auszuweichen. Die Probleme sind hausgemacht durch die Komplexität des gewählten Ansatzes.
Politische Diskurse: Zwischen "Scheißgesetz" und Verteidigung
Die Debatte hat längst das Niveau sachlicher Auseinandersetzung verlassen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt prägte im Oktober 2025 den Begriff "Scheißgesetz" – ein Ausdruck, den die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) dankbar aufgriff (Apotheke Adhoc).
Die Verteidigungslinie
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hält dagegen: Die Kriminalisierung sei gescheitert, der neue Weg brauche Zeit. Er betont Erfolge beim Jugendschutz und die Entstigmatisierung der Konsumenten (BMG Rede Lauterbach).
Die Blockadehaltung der Länder interpretiert er als Sabotage: Sie schafft erst die Probleme, die sie dann beklagt. Wenn das legale Angebot fehlt, weil Clubs nicht genehmigt werden, kann der Schwarzmarkt nicht verdrängt werden.
Szenarien für 2026
- Szenario A – Legislative Anpassung: Der Bund gibt nach. TKÜ-Befugnisse werden erweitert, Besitzmengen im öffentlichen Raum eventuell auf 10-15g reduziert. Clubs bleiben erlaubt, aber mit strengeren Auflagen.
- Szenario B – Föderaler Flickenteppich: Der Bund bleibt stur. Bayern und Hessen blockieren Clubs faktisch komplett, Berlin und Bremen praktizieren liberal. Massive Rechtsungleichheit entsteht.
- Risiko: Wenn die IMK-Beschlüsse scheitern, droht ein Wahlkampf 2025, in dem Cannabis zum Kulturkampf-Thema wird – mit unberechenbaren Folgen für die Regulierung.
Die IMK in Bremen ist ein Lehrstück politischer Heuchelei. Dieselben Politiker, die Clubs blockieren, beklagen den Schwarzmarkt. Dieselben Innenminister, die über Kontrollverlust klagen, haben jahrzehntelang eine Prohibitionspolitik verteidigt, die genau diesen Schwarzmarkt erst groß gemacht hat.
Der EKOCAN-Bericht wird ignoriert, weil er nicht ins Narrativ passt. Statt die Daten ernst zu nehmen, wird das "Scheißgesetz"-Mantra wiederholt. Das ist keine Sicherheitspolitik – das ist Wahlkampf auf Kosten einer rationalen Drogenpolitik.
Die Lösung liegt nicht im Verbot der Clubs (was den Schwarzmarkt zementieren würde), sondern in ihrer Entbürokratisierung – flankiert von harten Befugnissen gegen die echte organisierte Kriminalität. Ob die Politik zu dieser rationalen Synthese fähig ist? Im Dezember 2025 sieht es nicht danach aus.
📦 Archivierte Quellen (Wayback Machine)
Alle externen Quellen wurden am 05.12.2025 beim Internet Archive gesichert:
- innenministerkonferenz.de – Beschlüsse
- sat1regional.de – IMK-Themen
- polizei-dein-partner.de – GdP Kritik
- bundestag.de – Anhörung TKÜ
- euda.europa.eu – EKOCAN Vollbericht
- cannabisclub-arnstadt.com – Hessen-Analyse
- hessen.de – Poseck-Initiativen
- borkenerzeitung.de – Club-Statistik Hessen
- apotheke-adhoc.de – Dobrindt-Zitat
- drb.de – Richterbund Stellungnahme
- lto.de – EKOCAN-Analyse
- bundesgesundheitsministerium.de – Lauterbach-Rede
- hanfverband.de – DHV Spendenaktion
- hanfverband.de – DHV Forderungen
- gdp.de – GdP Stellungnahme
- dpolg.de – DPolG Stellungnahme
- inneres.bremen.de – IMK Bremen
- lto.de – IMK-Beschlussvorlagen
- frankfurt-live.com – Hessen IMK
- cannabisregulations.ai – Malta Clubs
- cannabisregulations.ai – NL Wietexperiment
- today.rtl.lu – Luxemburg Status
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