Deutschlands Cannabis am Scheideweg: Eine 18-Monats-Bilanz zu Warkens CanG-Verschärfungen
18 Monate nach der Legalisierung: Die Entkriminalisierung ist ein Erfolg, doch die legale Versorgung stockt. Nun zwingt Ministerin Warkens Kurswechsel bei Telemedizin und Versandhandel die Politik zum Handeln. Eine Analyse der Fakten, Chancen und Risiken.
Keine Zeit? Hier geht’s zur 5-Minuten-Zusammenfassung.
18 Monate nach dem Start des Cannabisgesetzes (CanG) ist die Bilanz gemischt: Die Justiz ist spürbar entlastet, doch die legale Versorgung kommt nicht in Gang. Jetzt reagiert Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) mit einer Verschärfung beim Medizinalcannabis (MedCanG): Ein persönlicher Erstkontakt wird Pflicht, der Versandhandel verboten.
Quellen: BMG-Mitteilung, ZEIT, Biermann Medizin
Bilanz nach 18 Monaten: Was funktioniert – und was nicht
Erfolg: Entkriminalisierung und Justizentlastung
Der private Rahmen – Besitz von bis zu 25 Gramm (öffentlich) bzw. 50 Gramm (privat) und drei Pflanzen – hat sich etabliert. Wie erwartet ist die Zahl der Strafverfahren deutlich gesunken, was Polizei und Justiz spürbar entlastet.
Klarheit im Verkehr: Der neue THC-Grenzwert
Seit dem 22. August 2024 gilt ein THC-Grenzwert von 3,5 ng/ml im Blutserum. Wichtig: Für Cannabiskonsumenten gilt am Steuer ein absolutes Alkoholverbot.
Problem: Die Versorgungslücke und der Umweg über Medizinalcannabis
Die legale Versorgung für den Freizeitkonsum ist das größte Problem. Cannabis Social Clubs (CSCs) sind bürokratisch überladen und kaum gestartet, der Eigenanbau ist für viele keine Option. Diese Lücke füllte ein boomender Markt für Medizinalcannabis-Rezepte, die oft von Selbstzahlern per Telemedizin und Versandapotheke bezogen wurden.
Warkens Kurswechsel: Das ändert sich beim Medizinalcannabis
Als Reaktion auf den Telemedizin-Boom hat die Bundesregierung eine Novelle des Medizinal-Cannabisgesetzes (MedCanG) beschlossen. Die Kernpunkte:
Die neuen Regeln für Medizinalcannabis im Detail
- Persönlicher Erstkontakt: Für die Erstverordnung von Cannabis ist ein persönliches Gespräch mit dem Arzt oder der Ärztin zwingend erforderlich.
- Telemedizin für Folgerezepte: Folgerezepte können weiterhin telemedizinisch ausgestellt werden, jedoch nur innerhalb bestimmter Fristen.
- Verbot des Versandhandels: Medizinalcannabis darf nicht mehr per Post versendet werden und muss vor Ort in der Apotheke abgeholt werden.
Das Ziel der Verschärfung
Offiziell soll damit Missbrauch eingedämmt und die Lieferkette „Online-Rezept plus Postversand“ unterbrochen werden.
Kritik an den neuen Hürden
Kritiker, wie die LTO, warnen, dass die Maßnahmen vor allem Patienten in ländlichen Regionen treffen und den Zugang zu notwendiger Therapie erschweren. Das Risiko: Betroffene könnten wieder in die Illegalität oder auf den unregulierten Schwarzmarkt ausweichen.
Rechtlicher Rahmen: CanG, Soldatengesetz und Straßenverkehr
Die Gesetzeslage im Überblick
- KCanG (Konsumcannabisgesetz): Regelt den privaten Besitz, Anbau und die Social Clubs. Wichtig: Der Konsum in und um militärische Liegenschaften bleibt verboten.
📄 § 5 Abs. 3 KCanG - Soldatengesetz (§ 17a SG): Die Pflicht zur Gesunderhaltung und zum Wohlverhalten begründet die strikte Null-Toleranz-Linie der Bundeswehr.
📄 § 17a SG - Straßenverkehrsgesetz: Definiert den THC-Grenzwert von 3,5 ng/ml und das Alkoholverbot für Konsumenten.
📄 ADAC – THC-Nachweisbarkeit
Das Bundeswehr-Dilemma: Null-Toleranz trifft auf Personalmangel
Die Bundeswehr hält an ihrem vollständigen Cannabis-Verbot fest, auch für den privaten Konsum. Als Begründung wird die „jederzeitige Einsatzbereitschaft“ angeführt.
Personalzahlen der Bundeswehr
- Aktueller Stand (Aug 2025): 182.357 Soldaten
- Ziel bis 2031: 203.000 Soldaten
- Personallücke: Über 20.000 fehlende Kräfte
Dieser strenge Kurs führt zu einem Dilemma: In einer Gesellschaft, in der Cannabis legal und akzeptiert ist, schließt die Bundeswehr durch pauschale Drogenscreenings einen wachsenden Teil potenzieller Rekruten aus und verschärft so ihren eigenen Personalmangel.
📄 Internes Cannabis-Merkblatt der Bundeswehr
Analyse: Die politische Debatte und die Fakten dahinter
Die konservative Lesart
„Der Schwarzmarkt floriert weiter, die Legalisierung ist gescheitert und hat nur neue Probleme geschaffen.“
Die progressive Lesart
„Die Entkriminalisierung ist ein voller Erfolg, der Polizei und Justiz massiv entlastet hat.“
Die Wahrheit liegt dazwischen
Faktisch haben beide Seiten aus ihrer Sicht recht. Die Entkriminalisierung hat die Repression wie erhofft reduziert. Gleichzeitig konnte der Schwarzmarkt nicht zurückgedrängt werden, weil die legale Alternative fehlt. Warkens MedCanG-Verschärfung adressiert nun ein Symptom (den Telemedizin-Boom), aber nicht die Ursache (die fehlende legale Versorgung für den Freizeitgebrauch).
Zwei Pfade für die Zukunft: Pragmatismus oder Rückschritt
Pfad A: Pragmatische Regulierung
- CSCs entbürokratisieren: Einheitliche Bundes-Standards und schnellere Genehmigungen, um die Versorgung zu ermöglichen.
- Modellprojekte („Säule 2“) starten: Lizenzierte Fachgeschäfte für Cannabis schaffen eine kontrollierte, sichere und steuerpflichtige Alternative zum Schwarzmarkt.
- Klare Regeln für die Bundeswehr: Abstinenzzeiten statt Totalverbot nach dem Vorbild Kanadas (z.B. 8h vor Dienst, 24h vor Waffendienst).
📄 Vorschlag Liberale Soldaten e.V.
Pfad B: De-facto-Rückabwicklung durch Verschärfung
- Re-Kriminalisierung: Der Justizaufwand steigt wieder, da Konsumenten auf den Schwarzmarkt zurückgedrängt werden.
- Stärkung des Schwarzmarkts: Ohne legale Alternative gibt es keine Qualitätskontrolle, keinen Jugendschutz und keine Steuereinnahmen.
- Hürden für Patienten: Die Barrieren beim Zugang zu Medizinalcannabis treffen Kranke und Menschen in ländlichen Gebieten.
📄 LTO-Kritik
Quellen und weiterführende Links
- Gesetzestexte: CanG im Bundesgesetzblatt, § 5 Abs. 3 KCanG (Militärische Bereiche)
- MedCanG-Novelle: Pressemitteilung BMG, Biermann Medizin
- THC im Verkehr: ADAC zum Grenzwert, ADAC zur Nachweisbarkeit
- Bundeswehr: Internes Merkblatt, Offizielle Personalzahlen
Fazit: Ohne legale Shops bleibt der Schwarzmarkt stark
Die Entkriminalisierung funktioniert, das Marktdesign nicht. Das deutsche Cannabisgesetz hat die Repression erfolgreich beendet, aber keinen funktionierenden legalen Markt geschaffen.
Warkens Verschärfung beim Medizinalcannabis ist eine Reaktion auf die Symptome dieser verfehlten Marktgestaltung, nicht auf die Ursachen. Solange es keine legale, zugängliche und regulierte Alternative in Form von Fachgeschäften gibt, wird der Schwarzmarkt weiter florieren.
Wer Jugendschutz, Qualitätskontrolle und Steuereinnahmen ernst meint, kommt an der kontrollierten Abgabe über lizenzierte Shops (Säule 2) nicht vorbei.
Die Kernaussagen im Überblick
Die Erfolge
- Justiz und Polizei sind spürbar entlastet.
- Der THC-Grenzwert im Verkehr schafft Rechtsklarheit.
- Der Weg für eine pragmatische Regulierung (Säule 2) ist politisch offen.
Die Risiken
- Ohne legale Shops bleibt der Schwarzmarkt die erste Anlaufstelle.
- Die Hürden für Schmerzpatienten werden durch das MedCanG höher.
- Der politische Zickzackkurs schwächt die Planungssicherheit und Glaubwürdigkeit.
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