Zurück zur News-Übersicht
Politik & International

Chaos und Chance: Die USA an der Schwelle einer neuen Drogen-Ära

Karikatur von Uncle Sam, der überfordert auf einem Einrad balanciert und mit Cannabis, einem Geldsack und einem Pilz jongliert – Symbol für die US-Drogenpolitik.

Die Vereinigten Staaten erleben einen Tsunami der Drogenreform, der weit über Cannabis hinausgeht. Während in Washington ein neuer, vielversprechender Gesetzentwurf zur landesweiten Legalisierung die Runde macht, kämpft der größte legale Markt der Welt in Kalifornien mit einer Steuer-Revolte gegen den Schwarzmarkt. Gleichzeitig wagen sich erzkonservative Staaten wie Kentucky und Mississippi an ein Tabuthema: die therapeutische Nutzung von Psychedelika. Ein Überblick über ein Land im Rausch des Wandels.

Das Wichtigste in Kürze

  • Bundes-Legalisierung 2.0: Ein neuer, parteiübergreifender Gesetzentwurf, der "States Reform Act", soll Cannabis auf Bundesebene entkriminalisieren und den Bundesstaaten die volle Kontrolle über die Regulierung geben.
  • Kaliforniens Steuer-Krieg: Der "Golden State" plant eine drastische Senkung der hohen Cannabis-Steuern, um den legalen Markt endlich konkurrenzfähig gegenüber dem riesigen Schwarzmarkt zu machen.
  • Psychedelika im "Bible Belt": In Kentucky und Mississippi finden offizielle Anhörungen zur Erforschung von Psilocybin und Ibogain für die Behandlung von PTSD und Opioid-Sucht statt – ein Paradigmenwechsel.
  • Boomende Dispensary-Märkte: Trotz politischer Hürden wächst der legale Markt rasant, insbesondere in neuen Bundesstaaten an der Ostküste, was den Druck auf den Kongress weiter erhöht.

Washingtons neuer Anlauf: Der "States Reform Act"

Nach mehreren gescheiterten Versuchen liegt dem Kongress nun ein Gesetzentwurf vor, der als der bisher pragmatischste gilt. Der "States Reform Act", eingebracht von einer parteiübergreifenden Gruppe um Rep. Nancy Mace (R-SC) und Rep. Dave Joyce (R-OH), zielt nicht auf eine bis ins Detail durchregulierte Bundes-Legalisierung ab. Stattdessen folgt er einem einfachen, aber wirkungsvollen Prinzip: Cannabis soll aus dem Betäubungsmittelgesetz (Controlled Substances Act) gestrichen werden. Damit wäre der Konsum auf Bundesebene nicht mehr strafbar. (Marijuana Moment; Forbes)

Der Clou: Die Bundesstaaten behalten die volle Hoheit. Sie können entscheiden, ob sie Cannabis legalisieren, wie sie es besteuern und welche Regeln für den Verkauf gelten. Dieser föderale Ansatz soll sowohl konservative Bedenken zerstreuen als auch den bereits existierenden Märkten Rechtssicherheit geben. Eine moderate Bundessteuer von 3 % soll zudem Programme zur sozialen Gerechtigkeit finanzieren. (Politico)

"Es ist an der Zeit, dass Washington die Realität anerkennt. 38 Staaten haben bereits irgendeine Form von legalem Cannabis. Unser Gesetz beendet den Konflikt zwischen Bundes- und Landesrecht und lässt die Staaten das tun, was sie am besten können: ihre eigenen Märkte regulieren."
— Rep. Nancy Mace (R-SC), Mitinitiatorin des Gesetzes

Kalifornien zieht die Notbremse im Steuer-Dschungel

Während Washington noch debattiert, kämpft der Pionier-Staat Kalifornien mit den Tücken der Realität. Die extrem hohen Steuern auf legale Cannabis-Produkte – bis zu 40 % Gesamtsteuerbelastung – haben dazu geführt, dass der Schwarzmarkt weiterhin blüht und legale Händler kaum überleben können. Nun reagiert die Politik: Das "Cannabis Tax Reform Act" soll die Anbausteuer komplett abschaffen und die Verkaufssteuer für mindestens drei Jahre bei 15 % einfrieren. (Los Angeles Times; Sacramento Bee)

Dieser Schritt wird als überlebenswichtig für die legale Industrie angesehen. Über 70 % der lizenzierten Dispensaries in Kalifornien sind laut Branchenverband in den letzten zwei Jahren geschlossen oder haben Insolvenz angemeldet. Experten sind sich einig: Nur wenn legale Produkte preislich mit dem Schwarzmarkt konkurrieren können, hat die Legalisierung ihr wichtigstes Ziel – die Austrocknung der Kriminalität – eine Chance. (Cannabis Business Times)

Die psychedelische Überraschung im tiefen Süden

Die vielleicht größte Sensation kommt aus einer unerwarteten Ecke. In Kentucky und Mississippi, zwei der konservativsten Staaten der USA, haben Gesetzgeber offizielle Anhörungen zur Erforschung von Psychedelika gestartet. In Kentucky, das von der Opioid-Krise verwüstet wurde, wird die Wirksamkeit von Ibogain zur Behandlung von Suchterkrankungen diskutiert. Der republikanische State Rep. Jason Nemes führt die Bemühungen an und argumentiert mit der dramatischen Überdosis-Statistik: 2.400 Todesfälle allein im Jahr 2024. (Forbes; Courier Journal)

In Mississippi liegt der Fokus auf Psilocybin (der Wirkstoff in Magic Mushrooms) zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTSD) bei Veteranen. Das "Mississippi PTSD Research Act" soll zunächst eine dreijährige Studie mit der Universität von Mississippi ermöglichen. Diese Entwicklung zeigt, dass die Debatte um Drogenreform nicht mehr nur eine Frage von liberalen vs. konservativen Werten ist. Angesichts grassierender mentaler Gesundheitskrisen wird die pragmatische Suche nach wirksamen Therapien zu einer parteiübergreifenden Notwendigkeit. (Clarion Ledger)

Ostküste im Cannabis-Rausch: Neue Märkte heizen Druck an

Während sich Washington und Kalifornien mit ihren jeweiligen Problemen herumschlagen, explodiert der legale Cannabis-Markt an der Ostküste förmlich. New York verzeichnete in den ersten sechs Monaten von 2025 bereits $2,1 Milliarden Umsatz – mehr als die Prognosen für das gesamte Jahr voraussagten. New Jersey meldet ähnliche Zahlen, und selbst konservativere Staaten wie Virginia und Maryland überraschen mit der Dynamik ihrer neuen Märkte. (Bloomberg; MJBizDaily)

Diese Erfolge verstärken den politischen Druck auf den Kongress erheblich. Wenn konservative Wähler in traditionell republikanischen Distrikten sehen, wie ihre Nachbarstaaten Millionen an Steuereinnahmen generieren, während sie selbst leer ausgehen, wird Cannabis schnell zu einem wirtschaftlichen statt ideologischen Thema.

Fazit: Ein Flickenteppich wird zur Bundesaufgabe

Die aktuellen Ereignisse in den USA zeigen ein klares Bild: Der Status quo ist unhaltbar. Der Flickenteppich aus legalen, halblegalen und illegalen Märkten erzeugt Rechtsunsicherheit und wirtschaftliches Chaos. Der Druck aus den Bundesstaaten – sei es durch boomende neue Märkte im Osten, Steuer-Krisen im Westen oder therapeutische Notlagen im Süden – zwingt die Bundespolitik endlich zum Handeln.

Die USA stehen an einem Wendepunkt: Entweder Washington schafft einen einheitlichen Rechtsrahmen, oder das Land zerfällt weiter in einen unübersichtlichen Drogen-Föderalismus, der niemand wirklich hilft. Der "States Reform Act" könnte dieser Ausweg sein – pragmatisch, föderalistisch und realpolitisch durchsetzbar. (Politico)

US-Cannabis 2025: Die wichtigsten Zahlen

  • 38 Staaten haben irgendeine Form von legalem Cannabis
  • 23 Staaten erlauben Freizeitkonsum
  • $35 Milliarden legaler Markt-Umsatz (Prognose 2025)
  • 65 % der Amerikaner befürworten Bundes-Legalisierung (Pew Research)