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Recht & Gesellschaft

Kiffen für den Kaiser? Wie das CanG die Bundeswehr ins Chaos stürzt

Karikatur zum Konflikt zwischen Bundeswehr und Cannabisgesetz: Ein Soldat steht im Spagat zwischen einem Joint und einem Befehl vom Kommandeur.

Das Cannabisgesetz hat eine unerwartete Front eröffnet: in der deutschen Bundeswehr. Während der private Konsum für volljährige Bürger legal ist, stehen Soldatinnen und Soldaten vor einem rechtlichen Dilemma. Die militärische Führung beharrt auf strikter Dienstfähigkeit und droht mit Konsequenzen, die weit über zivile Regelungen hinausgehen. Das Ergebnis ist eine rechtliche Grauzone, die tausende Staatsbürger in Uniform verunsichert.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Rechtslage: Das CanG gilt grundsätzlich auch für Soldaten. Der Konsum außerhalb des Dienstes ist ihnen also gesetzlich erlaubt. (Wehrbeauftragte des Bundestages) BMG: FAQ CanG · Soldatengesetz · WDO
  • Der Konflikt: Die Bundeswehr argumentiert mit der Pflicht zur Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung und jederzeitigen Einsatzbereitschaft. Ein Rest-THC-Wert am nächsten Morgen könnte bereits als Dienstvergehen gewertet werden. (Bundesministerium der Verteidigung) Bericht: BMVg-Linie
  • Harte Konsequenzen: Anders als bei Alkohol, wo klare Promillegrenzen existieren, gibt es für Cannabis faktisch keine Toleranz. Soldaten drohen Disziplinarmaßnahmen bis hin zur Entlassung, selbst wenn der Konsum Tage zurückliegt und keine aktuelle Beeinträchtigung vorliegt. BVerwG 2 WRB 2.21
  • Forderung nach Klarheit: Juristen und der Wehrbeauftragte fordern klare, einheitliche und vor allem verhältnismäßige Regelungen, die den neuen rechtlichen Rahmen des CanG respektieren. (Verband der Soldaten der Bundeswehr) bundeswehr‑journal

"Kamerad, riecht Ihr Spind nach Brokkoli?"

Seit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes herrscht in den Kasernen eine absurde Situation. Ein Soldat, der am Wochenende legal einen Joint raucht, muss am Montag fürchten, bei einer Kontrolle durchzufallen. Das Kernproblem ist die sogenannte "abstrakte Gefährdung". Die Bundeswehr argumentiert, dass schon die theoretische Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Dienstfähigkeit – etwa beim Umgang mit Waffen oder schwerem Gerät – ausreicht, um den Konsum de facto zu verbieten. Es spielt dabei keine Rolle, ob der Soldat tatsächlich berauscht ist oder seine Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wurde.

Karikatur: Ein Drill-Sergeant lässt Soldaten über einen Cannabis-Hindernisparcours springen, um ihre 'CanG-Tauglichkeit' zu testen.
Sonderausbildung 'CanG‑Tauglichkeit': Die Bundeswehr reagiert mit kreativen Methoden auf die neue Gesetzeslage – aber rechtssichere Lösungen bleiben aus.

Dieser Standpunkt führt zu einer massiven Rechtsunsicherheit. Während beim Feierabendbier klar ist, wann die Grenze des Erlaubten überschritten ist (0,5 Promille am Steuer, Null-Toleranz bei sicherheitsrelevanten Tätigkeiten), wird der Cannabiskonsum für Soldaten zu einem unkalkulierbaren Risiko. Die langen Nachweiszeiten von THC-Abbauprodukten im Körper verschärfen das Problem zusätzlich: Während Alkohol binnen Stunden abgebaut wird, können Cannabis-Metabolite noch Wochen später im Urin nachweisbar sein. ADAC: 3,5‑ng/ml (Kurzfassung hier lesen: Soldaten & Cannabis – einfach erklärt)

Alkohol vs. Cannabis: Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft

Ein Soldat, der nachweislich mit einem Restalkoholwert zum Dienst erscheint, wird anders behandelt als einer mit einem positiven THC-Test, auch wenn der Cannabis-Konsum lange zurückliegt und keine aktuellen Ausfallerscheinungen vorliegen. Kritiker sehen darin eine nicht mehr zeitgemäße Ungleichbehandlung, die durch das CanG eigentlich überwunden werden sollte. (Rechtsanwälte für Wehrrecht)

Die Wehrdisziplinarordnung als schärfstes Schwert

Die Bundeswehr stützt ihre harte Linie auf das Soldatengesetz und die Wehrdisziplinarordnung (WDO). Diese rechtlichen Instrumente verpflichten Soldaten zu einem "achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten" sowohl im Dienst als auch in der Freizeit. Sie müssen jederzeit einsatzbereit sein und dürfen das Ansehen der Bundeswehr nicht schädigen. Ein positiver Drogentest wird als Verstoß gegen diese fundamentalen Dienstpflichten interpretiert.

Die politische Debatte darüber, ob diese strenge Auslegung im Lichte des liberaleren Cannabisgesetzes noch haltbar ist, hat gerade erst begonnen. Solange es keine explizite Anweisung aus dem Verteidigungsministerium gibt, die den Umgang mit legalem Cannabis-Konsum außerhalb des Dienstes klar regelt, bleiben die Kommandeure vor Ort im Recht – und die Soldaten im rechtsstaatlichen Ungewissen. (Zur schnellen Übersicht: Kurzartikel)

Disziplinarmaßnahmen: Von Verweis bis Entlassung

Die möglichen Konsequenzen reichen von einfachen Verweisen über Geldstrafen und Arreststrafen bis hin zur Degradierung und im Extremfall zur Entlassung aus der Bundeswehr. Für einen Soldaten kann ein positiver Cannabis-Test somit existenzbedrohende Folgen haben – auch wenn der Konsum legal war und außerhalb der Dienstzeit stattfand.

Internationale Perspektiven: Andere Länder, andere Lösungen

Ein Blick über die Grenze zeigt: Andere NATO-Partner haben längst pragmatische Lösungen gefunden. Die kanadischen Streitkräfte beispielsweise haben nach der Cannabis-Legalisierung 2018 klare Richtlinien entwickelt, die sowohl die Sicherheit als auch die Grundrechte der Soldaten berücksichtigen. Dort gilt eine "8-Stunden-28-Tage-Regel": Soldaten müssen 8 Stunden vor dem Dienst abstinent sein, und bei sicherheitskritischen Einsätzen sogar 28 Tage. Diese Regelung ist transparent, berechenbar und rechtssicher.

Der Weg aus der Sackgasse

Experten fordern eine grundlegende Überarbeitung der militärischen Cannabis-Politik. Statt pauschaler Verbote braucht es differenzierte Regeln, die zwischen verschiedenen Tätigkeitsbereichen unterscheiden. Ein Bürosoldat in der Verwaltung sollte anderen Bestimmungen unterliegen als ein Kampfpilot oder ein Sprengstoffexperte. Zudem müssen objektive Messverfahren entwickelt werden, die tatsächliche Beeinträchtigungen feststellen können, statt sich auf den bloßen Nachweis von Stoffwechselprodukten zu stützen.

Fazit: Ein System im Widerspruch

Die aktuelle Lage ist rechtspolitisch unhaltbar. Der Staat kann seinen Bürgern in Uniform nicht einerseits per Gesetz eine Freiheit zugestehen, um sie ihnen dann durch interne Vorschriften wieder komplett zu entziehen. Es braucht dringend eine Anpassung der Zentralen Dienstvorschrift und klare Grenzwerte, die sich an der tatsächlichen Beeinträchtigung orientieren und nicht an einer abstrakten Gefahr.

Andernfalls schafft die Bundeswehr eine Sonderrechtszone, die dem Geist des Cannabisgesetzes, dem Gleichbehandlungsgrundsatz und den Grundrechten ihrer eigenen Angehörigen widerspricht. Die Zeit für eine sachliche, wissenschaftlich fundierte Neuregelung ist längst überfällig – bevor aus der aktuellen Rechtsunsicherheit ein dauerhafter Verfassungskonflikt wird.