Bayern zu Silvester 2025: Cannabis-Bollwerk macht legales Kiffen unmöglich
Zu lang? 💡 Hier geht es zu Kurz & Klar.
Der Jahreswechsel 2025/2026 wird in Bayern zum Stresstest für die Cannabis-Teilliberalisierung: Während der Bund am KCanG festhält, verdichten sich im Freistaat lokale Verbotszonen, landesweite Zusatzregeln und ein Kurs der maximalen Kontrolle. Pünktlich vor Silvester wurden Zonen erweitert, Verordnungen verschärft – und genau das macht öffentlichen Konsum in der Praxis zum juristischen Minenfeld. (Deutschlandfunk)
Die Kernpunkte im Überblick
- Nürnberg geht am weitesten: Ab 17. Dezember 2025 gilt am Hauptbahnhof nicht nur ein Konsumverbot, sondern auch ein Mitführverbot mit "Konsumabsicht". (Stadt Nürnberg)
- München: Paradoxe Parkzonen: Nach einem Gerichtsurteil darf im Nordteil des Englischen Gartens konsumiert werden, im beliebten Südteil bleibt es untersagt. (LTO)
- Bayernweite Verschärfungen: Landesrecht setzt zusätzliche Konsum-Verbote (z.B. Außengastronomie/Volksfeste) oben drauf. (GVBl Bayern)
- Drastische Bußgelder: Bayern arbeitet mit einem eigenen Bußgeldrahmen – Verstöße können schnell teuer werden. (BayMBl (Bußgeldkatalog))
- Politischer Druck: Im Bund ist eine „ergebnisoffene Evaluierung“ vereinbart – Bayern versucht, bis dahin Fakten zu schaffen. (Koalitionsvertrag 2025)
- Rechtsstreit vorprogrammiert: Gegen Bayerns Umsetzung werden Klagen/Prüfungen diskutiert – vieles wird 2026 vor Gerichten landen. (Verfassungsblog)
Der 15. Dezember 2025: Bayerns konzertierte Cannabis-Offensive
Es war kein Zufall. Am 15. Dezember 2025, genau zwei Wochen vor Silvester, starteten bayerische Großstädte eine synchronisierte Aktion, die an militärische Präzision erinnert. Nürnberg hatte bereits am 10. Dezember die schärfste Cannabisverbotsverordnung Deutschlands beschlossen. München erweiterte seine bestehenden Zonen. Augsburg kündigte Sonderverordnungen für die Silvesternacht an. Regensburg zog nach.
Wer glaubt, das sei spontane Kommunalpolitik, unterschätzt die bayerische Staatsregierung. Das Timing ist perfekt orchestriert. Markus Söder hatte bereits Monate zuvor angekündigt, Bayern werde zum "Bollwerk" gegen die Cannabis-Legalisierung. Und während Bundeskanzler Friedrich Merz im Bund an der Teillegalisierung festhält – wenn auch widerwillig –, schafft Bayern am Boden Fakten.
Die Waffe der Wahl: Das Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG), das bayerischen Kommunen weitreichende Ermächtigungen gibt, eigene Verbotszonen zu definieren. Das Ziel ist eine "Blaupause" – Städte sollen Problemzonen, oft identisch mit Alkoholverbotszonen, einfach zu Cannabis-Sperrgebieten erklären können. Ohne große Debatte. Ohne Widerstand.
Nürnberg: Das Mitführverbot als juristische Atombombe
Die Nürnberger Cannabisverbotsverordnung (CanVVO) ist ein juristisches Meisterwerk der Repression. Sie trat am 17. Dezember 2025 in Kraft und geht weit über ein simples Konsumverbot hinaus. Der entscheidende Satz: Das Mitführen von Cannabis ist verboten, wenn eine "unmittelbare Konsumabsicht" vorliegt.
Was bedeutet das konkret? Die Stadt definiert Konsumabsicht sehr großzügig: Wenn du einen gedrehten Joint dabei hast. Wenn Cannabis "offen neben dir liegt". Wenn du eine "offenkundige Verweilabsicht" zeigst. Das Problem: Diese Kriterien sind so schwammig, dass die Polizei einen enormen Ermessensspielraum hat. Ein verpackter Joint in der Jackentasche? Kann beschlagnahmt werden, wenn der Beamte "Konsumabsicht" vermutet.
Das ist ein direkter Angriff auf das Bundesrecht. Das Konsumcannabisgesetz (KCanG) erlaubt ausdrücklich den Besitz von bis zu 25 Gramm in der Öffentlichkeit – ohne Nachweis, dass man nicht konsumieren will. Nürnberg dreht die Beweislast um. Du musst beweisen, dass du NICHT vorhast zu kiffen. Wie soll das gehen?
Die Verbotszone ist riesig. Sie umfasst nicht nur den Bahnhof selbst, sondern auch:
- Den gesamten Bahnhofsplatz und die Königstorpassage
- Den Nelson-Mandela-Platz und den Südstadtpark
- Den Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB)
- Unterirdische Bereiche wie die Celtisunterführung
- "Pufferzonen" wie den Frauentorgraben zwischen Sterntor und Königstor
Für Silvester bedeutet das: Wer sich im Umfeld des Hauptbahnhofs aufhält – einer der zentralen Verkehrsknotenpunkte der Stadt – muss mit intensiveren Kontrollen rechnen, selbst ohne aktiven Konsum.
München: Gerichtschaos im Englischen Garten
München zeigt, wie chaotisch Bayerns Cannabis-Politik sein kann. Die Stadt wollte den gesamten Englischen Garten, den Hofgarten und den Finanzgarten zur Cannabis-Sperrzone erklären. Doch dann kam das Bayerische Verwaltungsgericht und zerstörte den Plan – zumindest teilweise.
Am 28. Juli 2025 urteilten die Richter: Der nördliche Teil des Englischen Gartens (die Isarauen) ist zu weitläufig und hat zu wenig Publikumsdichte, um ein Verbot zu rechtfertigen. Das "Übermaßverbot" greife. Im Südteil (Chinesischer Turm, die beliebten Wiesen) bleibt das Verbot aber bestehen – wegen "hohem Besucherdruck" und Jugendschutz.
Das Ergebnis ist absurd: Du darfst im Norden kiffen, wo kaum jemand ist. Im Süden, wo alle Silvester feiern wollen, ist es verboten. Und wehe, du irrst dich bei der Grenze – die ist nicht mal klar markiert.
Daneben hat München seit 15. Januar 2025 eine Alkohol- und Cannabisverbotsverordnung (ACVV) für den Alten Botanischen Garten. Diese Zone gilt rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Sie untersagt nicht nur Konsum, sondern auch das Mitführen "zum Zweck des dortigen Konsums". Klingt bekannt? Richtig, Nürnberg hat abgekupfert.
Intern wird diskutiert, diese Logik auf weitere Brennpunkte auszuweiten – etwa die Wittelsbacherbrücke oder den Friedensengel, wo es in der Vergangenheit zu Konflikten zwischen Feiernden und Polizei kam. Für Silvester wird eine "verstärkte Präsenz" angekündigt.
Das Cannabisfolgenbegrenzungsgesetz: Söders Meisterstück der Restriktion
Während die Städte lokale Verbotszonen schaffen, hat Söder auf Landesebene vorgebaut. Das Cannabisfolgenbegrenzungsgesetz – allein der Name ist Programm – wurde am 1. April 2024 eingeführt und 2025 mehrfach verschärft. Es nutzt Änderungen am Gesundheitsschutzgesetz (GSG), um den Konsum landesweit einzudämmen.
Die entscheidenden Verbote für Silvester:
Verbot in der Außengastronomie (Art. 3 Abs. 1 S. 3 GSG): Das Rauchen von Cannabis ist im Außenbereich von Gaststätten komplett untersagt. Das betrifft nicht nur Biergärten im Sommer, sondern auch die beheizten Außenbereiche von Bars und Cafés, in denen viele Menschen Silvester verbringen wollen. Wer hier kifft, zahlt bis zu 1.500 Euro beim ersten Mal. Bei Wiederholung: bis zu 5.000 Euro.
Verbot auf Volksfestgeländen (Art. 3 Abs. 1 S. 4 GSG): Das schließt die gesamte Verkehrsfläche ein – Fahrgeschäfte, Schaustellerbuden, Winter-Volksfeste, Neujahrsmarktgelände. Alles tabu.
Gleichstellung von Rauchen, Erhitzen und Verdampfen (Art. 3 Abs. 1 S. 5 GSG): Bayern stellt E-Zigaretten und Vaporisatoren dem Rauchen gleich. Die Idee, dass Dampfen geruchsärmer ist und deshalb toleriert werden könnte? Vergiss es. Bayern sagt: Alles verboten.
Das Problem der Minderjährigen: Ein unlösbares Dilemma
Das Bundesgesetz verbietet Cannabis-Konsum in "unmittelbarer Gegenwart" von Personen unter 18 Jahren (§ 5 Abs. 1 KCanG). Das klingt vernünftig – wird aber in Menschenmengen schnell unpraktisch. (KCanG §5)
Bayern legt das so aus: Der Konsument trägt die Beweislast. Er muss sicherstellen, dass keine Minderjährigen in der Nähe sind. Bei einer Silvesterparty auf dem Marienplatz oder am Nürnberger Hauptbahnhof? Statistisch unmöglich. Es sind immer Familien mit Kindern da. Immer.
Das bedeutet: Legaler öffentlicher Konsum auf großen Silvesterveranstaltungen wird in der Praxis extrem riskant – weil die Regel in dichtem Gedränge kaum sicher einzuhalten ist.
Verkehrskontrollen: Der THC-Grenzwert als Silvester-Falle
Ein weiterer kritischer Punkt: der Straßenverkehr. Seit 2024 gilt in Deutschland ein gesetzlicher THC-Grenzwert von 3,5 Nanogramm pro Milliliter Blutserum. (BMDV)
Das Problem: THC baut sich langsam ab. Wer am Silvesterabend konsumiert, kann am nächsten Morgen noch über dem Grenzwert liegen – ohne subjektiv „high“ zu sein. Besonders riskant ist Mischkonsum (Alkohol + Cannabis): Wer konsumiert, sollte konsequent nicht mehr fahren.
Die politische Großwetterlage: Merz, Söder und das Bollwerk
Um zu verstehen, warum Bayern so aggressiv vorgeht, muss man die Bundespolitik betrachten. Seit Friedrich Merz am 6. Mai 2025 zum Bundeskanzler gewählt wurde und eine Koalition aus CDU/CSU und SPD führt, hat sich das Klima spürbar gewandelt.
Die SPD hält im Bund an der grundsätzlichen Entkriminalisierung fest. Die Union drängt auf eine restriktive Auslegung und eine baldige Revision. Im Koalitionsvertrag wurde für Herbst 2025 eine "ergebnisoffene Evaluierung" vereinbart. Und genau hier setzt Söders Strategie an.
Bayern nutzt die Zeit bis zur Evaluierung, um durch Fakten am Boden Druck aufzubauen. Durch lokale Verbote und restriktive Genehmigungsverfahren für Anbauvereinigungen (Cannabis Social Clubs) will Söder beweisen, dass die Legalisierung gescheitert ist. Seine Hoffnung: Die Evaluierung zeigt die "negativen Folgen" so deutlich, dass eine Rücknahme oder massive Verschärfung unvermeidlich wird.
Söder nennt Bayern ein "Bollwerk" gegen die Drogenlegalisierung. Das ist keine Rhetorik. Das ist sein Plan.
Silvester 2025: Eine Nacht unter besonderer Beobachtung
Für Konsumenten entsteht zum Jahreswechsel ein doppelter Druck: bundesweit die Abstands- und Jugendschutzregeln – in Bayern zusätzlich ein Flickenteppich aus Zonen, Verordnungen und bußgeldbewehrten Zusatzregeln. Das Ergebnis: Legaler Konsum wird im öffentlichen Raum oft nicht unmöglich auf dem Papier, aber riskant in der Praxis.
Augsburg: Sonderregeln zum Jahreswechsel
Augsburg kündigte für Silvester zusätzliche Regeln und Hinweise fürs Stadtgebiet an – unter anderem für die Innenstadt. (Stadt Augsburg)
Administrative Barrieren: Cannabis Social Clubs als Flaschenhals
Parallel baut Bayern über Genehmigungen und Auflagen zusätzliche Hürden auf. Während das Bundesrecht legale Bezugswege vorsieht, bleibt der Aufbau von Anbauvereinigungen im Freistaat schleppend – und das verstärkt den Druck auf Konsumenten. (Deutschlandfunk)
Fazit und Ausblick auf 2026
Die konzertierte Aktion der Kommunen rund um den 15. Dezember macht deutlich: Bayern ist gewillt, die Grenzen des rechtlich Möglichen auszureizen. Silvester 2025 wird zum Lackmustest – und 2026 zum Jahr der Gerichte.