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Arbeitssicherheit & Forschung

High am Hochregal? Wegweisende Studie in Herborn testet Cannabis-Einfluss auf Staplerfahrer

Gabelstapler-Parcours mit Sicherheitskegeln; Symbolbild zur BGHW-Studie in Herborn über THC und Arbeitssicherheit

Auf einem Firmengelände im hessischen Herborn wird aktuell ein Stück Zukunft der deutschen Arbeitswelt verhandelt. 32 Probanden steuern Gabelstapler durch einen anspruchsvollen Parcours – unter ärztlicher Aufsicht und dem Einfluss von Cannabis. Diese wegweisende Studie der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) soll endlich die Wissenslücke schließen, die das Cannabisgesetz (CanG) im Bereich der Arbeitssicherheit hinterlassen hat. Es geht um die Frage: Wie gefährlich ist THC wirklich, wenn es um das Führen von schweren Maschinen geht?

Seit der Legalisierung herrscht in vielen Unternehmen massive Unsicherheit. Während für den Straßenverkehr ein THC-Grenzwert von 3,5 Nanogramm pro Milliliter Blutserum etabliert wurde, existiert für die Intralogistik und andere sicherheitsrelevante Tätigkeiten ein regulatorisches Vakuum. Genau hier setzt die BGHW an und will mit wissenschaftlicher Fundierung für Klarheit sorgen.

Die Herborn-Studie im Detail

  • Praxisnahes Szenario: Getestet wird nicht im Labor, sondern in einer realen Arbeitsumgebung auf dem Gelände der Richter Fördertechnik GmbH & Co. KG.
  • Kontrolliertes Vorgehen: Die Teilnehmer erhalten unter medizinischer Kontrolle entweder ein Placebo oder eine definierte Dosis THC, um die Auswirkungen direkt vergleichen zu können.
  • Multidisziplinäre Überwachung: Ein Team aus Ärzten, Psychologen und Verkehrsexperten überwacht die Probanden kontinuierlich, entnimmt Blutproben und führt kognitive Tests durch.
  • Konkrete Aufgaben: Der Parcours simuliert typische Lager-Aufgaben wie das präzise Ein- und Auslagern von Paletten, Slalomfahrten und das Reagieren auf unvorhergesehene Signale.

Das Ziel: Wissenschaft statt Bauchgefühl

Die BGHW will mit den Ergebnissen ihre Präventionsempfehlungen für die rund 386.000 Mitgliedsunternehmen aktualisieren. Es geht darum, eine wissenschaftliche Grundlage für die Gefährdungsbeurteilung zu schaffen, die über ein pauschales Verbot hinausgeht.

„Wir wollen unseren Mitgliedsbetrieben und den Versicherten Handlungssicherheit geben. Die Legalisierung ist eine gesellschaftliche Realität, auf die der Arbeitsschutz eine fundierte Antwort braucht. Spekulationen helfen niemandem – wir brauchen Fakten.“
— Dr. Udo Schöpf, Leiter Prävention bei der BGHW

Der rechtliche Rahmen: Arbeitgeber in der Pflicht

Unabhängig von den Studienergebnissen sind Arbeitgeber schon heute rechtlich verpflichtet, für ein sicheres Arbeitsumfeld zu sorgen. Die zentrale Vorschrift ist hier die DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“. Deren § 7 Abs. 2 besagt, dass Versicherte sich nicht durch den Konsum von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln in einen Zustand versetzen dürfen, durch den sie sich oder andere gefährden können. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers verlangt, dies sicherzustellen.

Ein Fachanwalt für Arbeitsrecht, Dr. Jens Meyer, erklärt: „Die Herausforderung für Unternehmen besteht darin, die Balance zu wahren. Einerseits dürfen sie nicht ohne Anlass in die Privatsphäre der Mitarbeiter eingreifen, andererseits müssen sie eingreifen, wenn eine Gefährdung offensichtlich ist. Klare, rechtssichere Betriebsvereinbarungen sind hier das A und O.“

Was Unternehmen jetzt konkret tun müssen

Bis die finalen Ergebnisse aus Herborn vorliegen und in offizielle Empfehlungen übersetzt werden, sollten Betriebe proaktiv handeln:

  1. Gefährdungsbeurteilung anpassen: Analysieren Sie, an welchen Arbeitsplätzen eine Beeinträchtigung durch Rauschmittel ein besonderes Risiko darstellt (z.B. Führen von Fahrzeugen, Maschinensteuerung, Arbeiten in der Höhe).
  2. Klare Regeln kommunizieren: Erstellen oder aktualisieren Sie eine Betriebsvereinbarung, die eine absolute Null-Toleranz für den Konsum berauschender Mittel vor und während der Arbeitszeit für sicherheitsrelevante Tätigkeiten festschreibt.
  3. Führungskräfte schulen: Vorgesetzte müssen lernen, Anzeichen von Beeinträchtigungen zu erkennen und einen klaren, dokumentierten Prozess (Stufenplan) zur Hand haben, wie sie in einem Verdachtsfall vorgehen.
  4. Mitarbeiter aufklären: Informieren Sie die Belegschaft offen über die betrieblichen Regeln, die rechtlichen Hintergründe und die Risiken von Rest-THC im Blut – auch vom Vortagskonsum.

Die Studie in Herborn ist mehr als nur ein Test. Sie ist ein entscheidender Schritt, um die deutsche Cannabis-Legalisierung auch in der Arbeitswelt auf ein sicheres und pragmatisches Fundament zu stellen. Die Ergebnisse werden mit Spannung erwartet – nicht nur im Handel und in der Logistik, sondern in allen Branchen, in denen Sicherheit an erster Stelle steht.