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Gesundheit & Regulierung

G‑BA stoppt Telemedizin: Versand bei Cannabis-Erstrezepten wackelt

Symbolbild: Ein zerbrechendes Paket mit einem Cannabis-Rezept, das den Schock für Versand-Apotheken und Patienten darstellt

Es ist ein administrativer Akt mit verheerenden Folgen für zehntausende Schmerzpatienten, Menschen mit psychischen Erkrankungen und chronisch Kranke: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das höchste Gremium der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, hat die Regeln für die Verschreibung von Medizinalcannabis drastisch verschärft. Kern des Beschlusses: Ein Cannabis-Rezept darf erstmalig nur noch nach einem direkten, persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient ausgestellt werden. Dies bedeutet das faktische Ende für die rein telemedizinische Erstversorgung und stürzt unzählige Betroffene, die auf den Versand angewiesen sind, in ein tiefes Versorgungsloch.

Die Entscheidung, die eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie darstellt, beendet eine Ära, die vielen Patienten erst einen niederschwelligen Zugang zu einer legalen Therapie ermöglichte. Spezialisierte Telemedizin-Plattformen hatten in den letzten Jahren eine Infrastruktur aufgebaut, die es Patienten – insbesondere in ländlichen Regionen oder mit eingeschränkter Mobilität – erlaubte, nach einer Video-Sprechstunde legal an ihre Medikamente zu kommen, die dann von spezialisierten Apotheken versandt wurden. Diese Praxis ist nun für neue Patienten illegal.

Der G-BA-Beschluss im Überblick

  • Pflicht zum Arzt-Kontakt: Die Erstverschreibung von Cannabis-Arzneimitteln setzt zwingend einen unmittelbaren, physischen Arzt-Patienten-Kontakt voraus.
  • Aus für reine Telemedizin-Modelle: Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf reinen Video-Sprechstunden für die Erst-Anbehandlung basierte, stehen vor dem Aus.
  • Patienten als Hauptleidtragende: Betroffene in unterversorgten Gebieten oder mit Stigmatisierungsängsten verlieren ihre wichtigste Anlaufstelle.
  • Begründung des G-BA: Sicherstellung einer "sorgfältigen Indikationsstellung" und einer umfassenden körperlichen Untersuchung, die per Video nicht möglich sei.

Der "Ärzte-Odyssee" droht ein Comeback

Branchenverbände und Patientenorganisationen reagieren entsetzt. Sie warnen vor einer Rückkehr zur gefürchteten "Ärzte-Odyssee", bei der Patienten unzählige Praxen abklappern müssen, um einen Mediziner zu finden, der bereit und kompetent genug ist, Cannabis zu verschreiben.

„Dieser Beschluss ist ein Schlag ins Gesicht für jeden Patienten, der auf eine unkomplizierte und legale Versorgung angewiesen ist. Er ist patientenfeindlich, realitätsfern und ignoriert die massiven Versorgungslücken in Deutschland. Statt die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben, dreht der G-BA das Rad der Zeit zurück und drängt Patienten entweder zur Selbsttherapie über den Schwarzmarkt oder lässt sie komplett im Stich.“
— Jürgen Neumeyer, Geschäftsführer des Branchenverbands Cannabiswirtschaft e.V. (BvCW) (sinngemäß)

Die Argumente: Sicherheit vs. Versorgungsrealität

Der G-BA argumentiert mit der ärztlichen Sorgfaltspflicht. Für die Entscheidung, eine Therapie mit einem Betäubungsmittel wie Cannabis zu beginnen, sei eine umfassende Anamnese und körperliche Untersuchung unerlässlich. Dies könne eine Video-Sprechstunde nicht leisten. Kritiker halten dem entgegen, dass die telemedizinischen Plattformen oft standardisierte und hochspezialisierte Verfahren etabliert hätten, die eine höhere Qualität sicherten als bei manchem unerfahrenen Hausarzt.

Dr. med. Franjo Grotenhermen, ein Pionier der Cannabis-Therapie in Deutschland, kommentierte die Entwicklung kritisch: „Die Anforderung eines persönlichen Kontakts für die Erstverschreibung ist grundsätzlich nachvollziehbar. Das Problem ist aber, dass die flächendeckende ärztliche Kompetenz und Bereitschaft zur Verschreibung von Cannabis nach wie vor nicht gegeben ist. Der Beschluss schafft also ein Qualitätsideal, das an der Versorgungsrealität zerschellt.“

Was bedeutet das jetzt für Patienten?

Für Patienten, die eine Behandlung beginnen wollen, wird der Weg nun deutlich steiniger. Sie müssen aktiv nach Ärzten in ihrer Umgebung suchen, die persönliche Termine anbieten und der Therapie offen gegenüberstehen. Bestehende Patienten, die bereits in telemedizinischer Behandlung sind, können in der Regel ihre Folgerezepte weiterhin per Video-Sprechstunde erhalten. Doch der Pool an neuen Patienten für die Online-Anbieter versiegt mit diesem Beschluss.

Der G-BA-Beschluss ist ein Paradigmenwechsel, der die Machtverhältnisse im Medizinalcannabis-Markt neu ordnet und vor allem eines zeigt: Der Kampf um einen einfachen und fairen Zugang zu Cannabis als Medizin ist noch lange nicht vorbei. Für Tausende ist er gerade wieder deutlich härter geworden.